Der heute veröffentlichte Bericht über die Inflationsrate in der Eurozone war im "roten Bereich": alle Komponenten des Berichts blieben unter den prognostizierten Werten. Die Inflation verlangsamt sich und zwar in einem sehr schnellen Tempo. Obwohl das Währungspaar eur/usd ungewöhnlich reagierte (es erreichte ein Zweitagehoch und stieg auf 1,0742), ist der heutige Bericht definitiv nicht zugunsten des Euro. Offensichtlich werden Diskussionen über die Aussichten einer strafferen Geldpolitik der EZB jetzt mit neuer Kraft wieder aufgenommen. Und wiederum werden diese Diskussionen nicht zugunsten der Einheitswährung sein, da die Vertreter der "tauben Flügel" der Europäischen Zentralbank nun zusätzliche Argumente haben werden.
Sprache der trockenen Zahlen
Gemäß veröffentlichten Daten sank der Gesamtverbraucherpreisindex im Mai auf 6,1%, während ein Rückgang auf 6,3% prognostiziert wurde. Dies ist das schwächste Wachstumstempo des Indikators seit März 2022. Zum Vergleich kann man feststellen, dass der Gesamtindex im Vormonat (also im April) bei 7,0% lag. Der Kernverbraucherpreisindex, ohne Berücksichtigung von Energie- und Lebensmittelpreisen, sank auf 5,3% (bei einer Prognose von 5,6% Wachstum). Dieser Berichtskomponente sinkt bereits den zweiten Monat in Folge.
Die anomale Reaktion des eur/usd-Paares lässt sich damit erklären, dass gleichzeitig mit der Veröffentlichung der europäischen Inflation das Protokoll der Mai-Sitzung der EZB veröffentlicht wurde, das sich als sehr falkenhaft erwies. Außerdem sprach zur gleichen Zeit die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde. Sie äußerte ebenfalls falkenhafte Thesen, die es den Käufern von eur/usd ermöglichten, eine Korrektur zu organisieren.
Argumente für den Euro
In den Protokollen der Mai-Sitzung der EZB wird unter anderem darauf hingewiesen, dass einige Mitglieder des Direktoriums eine Erhöhung des Zinssatzes um 50 Basispunkte befürworten. Es wird auch die Meinung "einiger Mitglieder der Zentralbank" zitiert, dass der Regulator entschlossener handeln müsse, um die Zinssätze ausreichend restriktiv zu gestalten, um die Inflation auf das Zielniveau zurückzuführen.
Auf einer Wirtschaftskonferenz in Deutschland sprach sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde heute ebenfalls für weitere Schritte zur Verschärfung der Geldpolitik aus. Ihrer Meinung nach ist die Inflation zu hoch und wird anscheinend "noch lange so bleiben".
Vor dem Hintergrund solcher hawkishen Signale kehrte das Währungspaar EUR/USD in den Bereich von 1,20 zurück. Auch das gestiegene Risikointeresse aufgrund der jüngsten Ereignisse in Washington spielte eine Rolle.
Schicksal der Staatsschulden und ADP-Bericht
Gestern wurde im Unterhaus des US-Kongresses ein umstrittener Gesetzentwurf zur Erhöhung der Schuldenobergrenze verabschiedet. Das Repräsentantenhaus wird von der Republikanischen Partei kontrolliert, aber zur Genehmigung des Gesetzentwurfs benötigten sie die Hilfe der Demokraten, da viele Republikaner mit der Vereinbarung des Sprechers Kevin McCarthy mit Biden unzufrieden waren und deshalb "dagegen" stimmten. Trotzdem gelang es, das Dokument durch die Mühlen des Unterhauses zu bringen: 314 Kongressmitglieder stimmten "dafür", 117 stimmten "dagegen" (71 Republikaner und 46 Demokraten). Unter den "dafür" stimmenden Demokraten waren am Ende mehr als Republikaner (165 und 149 entsprechend).
Jetzt liegt die Sache beim Senat, der bekanntlich von den Demokraten kontrolliert wird. Obwohl einige Vertreter der Demokratischen Partei das abgeschlossene Abkommen kritisiert haben, zweifeln die meisten politischen Experten nicht daran, dass der Gesetzentwurf in der oberen Kammer des Kongresses genehmigt wird. Erstens ist der Anteil der Gegner der Vereinbarung unter den Demokraten im Vergleich zur Anzahl der "Unzufriedenen" Republikaner viel geringer. Zweitens unterstützen viele republikanische Senatoren die getroffene Entscheidung, so dass keine ernsthaften Probleme bei der Durchsetzung zu erwarten sind. Und man kann sich sicherlich keine Sorgen um die letzte Etappe der Saga machen - ohne Zweifel wird Biden den mit den Republikanern vereinbarten Gesetzentwurf unterzeichnen.
So hat auf der einen Seite das heute entstandene fundamentale Umfeld zur Entwicklung einer nördlichen Korrektur im eur/usd-Paar beigetragen. Die Risikoaversion hat abgenommen und die Europäische Zentralbank hat hawkish messages (EZB-Protokoll + Lagarde-Rede) veröffentlicht.
Aber es lohnt sich nicht, sich zu beeilen, um Long-Positionen einzunehmen. Erstens werden die heute veröffentlichten Daten zum Anstieg der Inflation in der Eurozone noch Auswirkungen zeigen. Dies ist sozusagen eine "verschobene Veröffentlichung". Zweitens werden morgen die Non-Farms veröffentlicht, die die Positionen der amerikanischen Währung stärken können.
Heute gab es ein sehr vielversprechendes Signal für Dollar-Bullen von der Agentur ADP. Der Bericht dieser Agentur ist eine Art "Vorbote" vor dem Nonfarm Payrolls-Bericht. Wenn die offiziellen Zahlen am Freitag die Trajektorie dieses Berichts wiederholen, wird der Dollar eine gewisse Unterstützung erhalten. Laut ADP stieg die Beschäftigung im privaten Sektor der USA im Mai um 278.000. Dieser Wert übertraf die Erwartungen des Marktes deutlich (die Prognose lag bei 170.000). Der Konsensprognose zufolge wird der Arbeitsmarkt der USA zum jetzigen Zeitpunkt eine schwache Dynamik aufweisen. Experten zufolge wurden im Mai in den USA 170.000 Arbeitsplätze im nicht-landwirtschaftlichen Sektor geschaffen (im April lag dieser Wert bei 253.000 und übertraf die prognostizierten Schätzungen). Die Arbeitslosenquote sollte leicht steigen - auf 3,6% (nach anderen Schätzungen - auf 3,7%).
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die eur/usd-Händler immer noch unsicher sind, in welche Richtung sich der Preis bewegen wird. Der fundamentale Hintergrund ist ziemlich widersprüchlich: Einerseits haben sich die risikofreudigen Stimmungen abgeschwächt und die EZB zeigt eine hawkische Haltung. Andererseits hat die Inflation in der Eurozone im Mai stärker als erwartet nachgelassen und der ADP-Bericht war im grünen Bereich und "verspricht" gute Non-Farms.
In einer solchen Unsicherheit sollten Long-Positionen mit großer Vorsicht behandelt werden, insbesondere wenn der Preis die Marke von 1,0750 erreicht (an diesem Preisniveau stimmt die untere Grenze der Kumo-Wolke im Vier-Stunden-Chart mit der oberen Linie der Bollinger-Bänder überein). Seit dem 25. Mai haben Käufer des Paares diesen Zielwert fast täglich getestet, konnten ihn jedoch nicht überwinden und sich darüber festsetzen. Ich denke, dass in diesem Fall der nördliche Ausbruch auf ähnliche Weise enden wird.